Die Erwartungen sind gross, 6 Tage, 5 Übernachtungen und über 2’500 Kilometer zu fahren. Eine weitere Herausforderung wartet, in Australien wird links gefahren. Ein weisser Toyota Corolla soll’s werden, mittelgrosser PW, ich steige ein. Es zeigt sich äusserst umständlich links zu schalten, ich versuche den Grossstadtdschungel motoraufheulend zu meistern. Nachdem ich anfangs auf der falschen Spur fahre, vor allem im Kreisverkehr(!), werde ich hupend und grimmig anstarrend mehrmals auf mein fehlerhaftes Fahrverhalten aufmerksam gemacht. OK! hab’s verstanden.
Schweissgebadete Minuten später habe ich’s geschafft, eine Strasse, der selbe Gang. Ich fahre nach Fremantle. Etwa 100 Kilometer südlich von Perth. Die Unterkunft ist auch schon gebucht, ein altes ausgemustertes Gefängnis umfunktioniert zum Hostel. Sogleich parkiere ich den Corolla und beziehe meine Zelle! Der Gefängniswärter zeigt sich grosszügig und es gibt reichlich mehr als Wasser & Brot. Ich erkunde den nahen Stadtkern welcher mich an den früheren Kolonialstil erinnert. Sehr empfehlenswert „Fremantle Markets“ ein überdachter Markt mit frischem Gemüse-Obst-Fisch-Fleisch was das Herz begehrt, bunt und visuell stimulierend präsentiert. Kleine Läden bieten lokale Spezialitäten an und in einzelnen offenen Bars wird Live Musik gespielt. Am Abend esse ich zusammen mit einer jungen Chinesin auswärts. Sie erzählt mir von der schwierigen Beziehung zu ihrem Ehemann und schüttet Ihr Herz bei mir aus. Einmal mehr bestätigt sich, reden hilft und Sie bedankt sich bei mir für’s Zuhören. Der Gefängnisausgang ist beendet ich werde wieder in meiner Zelle für die Nachtruhe eingeschlossen.
Am zweiten Tag fahre ich mit dem Boot zu der, vor der Küste von Fremantle gelegenen Rottnest Island. Nachdem die Fähre ankommt, erkunde ich die kleine Insel mit dem Fahrrad. Auf der Insel leben die putzigen kleinen Quokkas oder auch Kurzschwanzkängurus genannt, eine Beuteltierart aus der Familie der Kängurus. Da Sie von Touristen gefüttert werden sind sie sehr zutraulich, während ich esse springt eines neugierig auf meinen Tisch, möchte gefüttert werden, fühlt sich an wie im Streichel-Zoo, spannendes Tier. Endlose Strände, mit kristallblauem Wasser wo das Auge hinreicht. Definitiv einen Tagesausflug wert! Wir fahren mit der Fähre zurück, tosende Wellen brechen am kleinen Boot. Mir ist etwas flau im Magen und ich bin froh erreichen wir bald wieder das Festland.
Ein neuer Morgen bricht an und die Reise mit meinem kleinen Japaner geht weiter, ich habe heute etwa 550 Km zu meinem nächsten Etappenziel Albany zu bestreiten. Stunden vergehen, ich fahre und fahre, eine einzige Strasse gegen Süden, links und rechts nur Steppe. Traurig, etliche tote Tiere am Strassenrand, vor allem überfahrene Kängurus. Alle 15 Minuten in etwa donnert ein Roadtruck mit seinen 2 Anhängern auf den verstaubten Strassen an mir vorbei. Eindrucksvoll. Ich weiss ich muss bis zu meinem Ziel, der Stadt Albany noch mehrere Stunden fahren, also drücke ich ohne grosse Gedanken aufs Gaspedal. Anfangs noch spannend aber mittlerweile fällt mir bei dieser Einöde fast mein Gesicht aufs Lenkrad, ich fahre und fahre, ein Auto kreuzt mich gelegentlich. Plötzlich sehe ich im Rückspiegel meines Toyotas eine Rauchwolke, und erkenne darin blau-rote Sirenen, ich denke mir nichts dabei und fahre weiter. Ein weiterer Blick in den Rückspiegel zeigt mir, ein mir folgendes Polizeifahrzeug, ein weiteres mal nehme ich es gelassen zur Kenntnis. Die Beamten scheren aus und überholen mich rasant und spuren vor mir wieder ein, ich werde ausgebremst. Am Strassenrand stehend kommt einer der beiden Polizisten mit Hand am Halfter auf mich zu, ich mache das Fenster runter. Ich werde angeschrien! Was dass soll? Ich erkundige mich gelassen, um was es denn geht? Der Beamte fragt mich wieso ich nicht anhalte wenn ich von einem offiziellen Fahrzeug der australischen Polizei mit Blaulicht verfolgt werde? Ähm, tut mir leid, ich bin nicht von hier und kenne die lokalen Gepflogenheiten nicht so gut. Der Beamte flippt nun total aus, möchte Führerschein sehen und brummt mir einen sehr hohen Strafzettel für zu schnelles Fahren und Beamtenbehinderung auf. Völlig unpassend frage ich den Herrn ob wir nicht ein Foto zusammen machen können, sein Gesicht spricht Bände. Oh nein, ich glaube da habe ich jetzt komplett die Grenze überschritten, er geht zu seinem Kollegen und kommt zurück an mein Fenster, schaut mich grimmig an und sagt „OK“, er lächelt nun. Ich steige aus, und wir stellen eine Szene aus einer Festnahme nach, mit gespreizten Beinen stehe ich zum Japaner gerichtet, ein Beamter mit gezogener Waffe hinter mir, hinter uns das parkierte Polizeiauto, die Szene wie aus einem Hollywood streifen. Der nette Kollege macht einen Schnappschuss von uns. Wir müssen kurz aufhören, ein Fahrzeug fährt an uns vorbei, soll ja keiner denken es sei Ernst. Nach ein-zwei Schnappschüssen, verabschieden wir uns herzlich und der Strafzettel ist auch kein Thema mehr. Gute Fahrt! Ich fahre weiter und amüsiere mich köstlich, noch lange habe ich das Grinsen im Gesicht. Ist das jetzt wirklich gerade passiert? Scheint so. In Kürze erreiche ich Albany, ein schönes Küstenstädtchen im äussersten Süd-Westen von Australien. Es ist überhaupt nichts los in der Stadt. Es ist fast schon langweilig und ich schlafe zum ersten Mal ein paar Stunden.
Akku geladen, Wäsche gewaschen, weiter gehts in Richtung Esperance, 5 Stunden von Albany entfernt, ganz im Südwesten von Australien. Ich bin überrascht, es regnet, windet und tagsüber hat es kühle 22 C°. Ich sitze alleine im Schneidersitz am Ozean und geniesse die Ruhe, kein Mensch, unendliche Weiten, zwischendurch mal den Schulterblick, ob sich auch wirklich keine Schlange blicken lässt, ich meditiere, höre nur das Rauschen des Meeres und vereinzelt die Rufe einer einsamen Möwe. Eine unglaublich friedvolle Atmosphäre, ich bin wie in Trance. Ich fahre an der Küste entlang und geniesse die wunderschönen Strände.
Drei Tage meiner Rundreise sind bereits vorbei und ich bewege mich bereits wieder in Richtung Perth. Nächste Station und etwa 4 Stunden von Albany entfernt befindet sich das entlegene Dörfchen Bremer Bay. Bekannt für seine Walsichtungen. Erneut fahre ich Stundenlang, die Benzinuhr zeigt auf unter 1/3, es wird Zeit zu tanken. Weit weg von der Zivilisation frage ich mich nun, reicht der Sprit noch bis zum Ziel oder kehre ich lieber um und tanke auf? Ich bin diese Weiten nicht gewohnt, in der Schweiz kommt alle paar Kilometer wieder einmal eine Tankstelle, zumindest eine Tanksäule irgendwo in einem Kuhdorf, aber hier? Ich habe absolut keine Lust in der Pampa stehen zu bleiben, ebenfalls sagt man, man solle nicht Nachts fahren, wegen der ganzen Kängurus welche die Strassen im Dunkeln überqueren. Ich bin etwas nervös und entscheide mich ein Stück zurück zufahren, da ich mich sowieso etwas verfahren habe. Also fahre ich in die entgegengesetzte Richtung, der Zeiger der Tankanzeige bewegt sich dem Ende zu und die Sonne geht zwischenzeitlich, langsam am Horizont unter. Mit den letzten Tropfen Benzin erreiche ich ein 200 Seelendorf irgendwo im Nirgendwo. Es ist auch ein Skandal, wie klein die Tanks dieser Mietwagen sind. Ich tanke voll und fahre in der Dämmerung wieder in Richtung Bremer Bay. Distanz ca. 150 KM. Mit maximaler Geschwindigkeit, den letzten Erfahrungswerten gemäss natürlich anständig und innerhalb der Geschwindigkeitsbegrenzung, spannende Fotos habe ich ja bereits. Im Rückspiegel die pur-pur rote Sonne welche überdimensional bereits langsam hinter der hügeligen Landschaft verschwindet. Erneut Schweissperlen auf der Stirn, aber mit vollem Tank. Ich fahre Kilometer für Kilometer im Schneckentempo, da ich ja keinen Tierkadaver auf dem Kühler möchte. Tatsächlich kreuzen immer wieder riesige Kängurus die Strasse und ich fahre wie ein 90 jähriger, mit steifen, angewinkelten Armen, den Brustkorb förmlich am Lenkrad immer weiter in die dunkle Nacht hinein. Todmüde und von Erschöpfung gezeichnet erreiche ich die Siedlung, genehmige mir noch ein spätes Abendessen und falle nur noch ins Bett.
Am nächsten Tag gehts über Denmark nach Walpole. Ich erreiche meine Unterkunft die Walpole Lodge. Zuerst scheint niemand da zu sein, etwas verlassen das Ganze. Ich warte, es kommt ein mysteriöser Herr und begrüsst mich, er hat irgendwie einen Psychoblick und könnte als Massenmörder einem Thriller entsprungen sein. Mit einem stechenden Blick erklärt er mir, er hätte die Unterkunft erst kürzlich übernommen und ich wäre der einzigste Gast, obwohl das Haus etwa 50 Zimmer umfasst! Das macht denn Mann definitiv nicht sympathischer. Egal, ich checke ein, beziehe mein Zimmer und gehe ins Zentrum dieser Ortschaft. Scheint eine Arbeiterstadt zu sein, in der einzigen Bar, sind viele Trucker und ausschliesslich Männer. Ich spiele eine Partie Billard und trinke ein Bier. Ich falle auf wie ein bunter Hund und ernte kritische Blicke. Mit einem leichten Unwohlsein verlasse ich die gute Stube und gehe zurück ins Hotel. Im Zimmer angekommen übermannt mich abermals ein mulmiges Gefühl, Totenstille, sogar den Grillen ist das zirpen vergangen! Habe langsam den Eindruck ich ziehe solche Situationen förmlich an
Aber zum Glück überlebe die Nacht ohne in den Schlagzeilen aufzutauchen und fahre weiter. Mit einigen Zwischenstationen erreiche ich Margreth River, eine absolut idyllische Kleinstadt, ein Weinanbaugebiet im südlichen Westen. Schön hier und endlich mal wieder etwas Leben in der Bude. Ich checke ins Hostel und in mein Zimmer ein. Was für ein Zufall „Steve“ der Holländer von Perth befindet sich im gleichen Zimmer, die Welt ist doch klein, nicht wahr, er hat hier eine Arbeit als Strassenbauer gefunden. Der Verdienst ist anscheinend gegenüber Holland immens, darum versuchen auch viele Backpackers ein Arbeitsvisum in Australien zu erhalten um sich die grosse Reise gleichzeitig ab zu verdienen. Gewisse Muster machen sich bemerkbar, erneut gehe ich in Bars, lerne Leute kennen und habe einen guten Abend. Es läuft! Schliesslich endet mein Ausgang in einer „open-mic“ Bar für junge Gesangstalente, welche sich spontan einem kleinen aber kritischen Publikum präsentieren möchten. -Nein, ich singe nicht aber geniesse einige interessante Auftritte. Bei einigen Darbietungen schauderts mich und ein Fremdschämgefühl breitet sich aus, sind die so schlecht oder haben sie nur eine Wette verloren und machen sich zum Affen. Auf jeden Fall sehr unterhaltsam. Gute Nacht aus Margeth River.
Ich fahre weiter und bin fasziniert über diese vielen Facetten der Landschaft, einige dutzend Kilometer fahre ich an malerischen Hügellandschaften mit Landwirtschaftsbetrieben, Kuhherden auf grünen Feldern vorbei, ähnelt sogar der Vegetation in der Schweiz, spannend! Ich komme nach Dunsborough, nette Küstenstadt mit heimeligem Leuchtturm. Erneut erkenne ich beim Dünenspaziergang fröhlich umhertollende Wale, welche mit hohen Wasser-Fontänen und Lauten auf sich aufmerksam machen. Kilometer für Kilometer nähere ich mich meinem Ausgangspunkt, ich traue meinen Augen kaum als ich während meiner Fahrt auf der linken Strassenseite einen aufgeblasenen riesigen Weihnachtsmann sehe, völlig surreal hier. Da ich ein kleiner Weihnachtstfan bin kann ich nicht widerstehen und halte kurz, Susi, eine vor 30 Jahren ausgewanderte Österreicherin hat sich ihren Lebenstraum erfüllt und führt einen Weihnachts-Deko-Laden welcher das ganze Jahr über geöffnet hat. Ich unterhalte mich mit Susi auf Hochdeutsch und bin begeistert von dieser Winterwonderland Stimmung mitten in der australischen Pampa. Ich kaufe noch eine Weihnachtsmannfigur und fahre zielgerichtet weiter. Tatsächlich habe ich den straffen Zeitplan eingehalten und gebe den mir ans Herz gewachsenen kleinen Japaner ohne Schäden aber völlig Rallye-mässig staubig und verdreckt zurück an die Auto-Vermietung. Unglaublich was ich alles erlebt habe. Das Kopfkino spult nochmals alles ab als ich in Perth gemütlich in einem Cafe die vorbeigehenden Passanten beobachte. Immer wieder muss ich über meine Erlebnisse vor mich hin schmunzeln.
Kapitel 6 – Zurück in Perth
(Veröffentlichung am 11.05.2019 / 11.00)