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Fasnacht in Basel, der etwas andere Karneval

Aktualisiert: 16. Feb. 2021


Karneval, närrisches Treiben, Masken? – Nein, es ist die Basler Fasnacht mit ihren Fasnächtlern. Teil des Unesco Kulturerbes und die grösste Fasnacht der Schweiz. Auch weltweit ist unsere Fasnacht ganz vorne mit dabei. Bis zu 20‘000 Aktive. Davon in etwa 11'000 am offiziellen Cortège (Umzug) welcher am Montag Nachmittag sowie Mittwoch Nachmittag stattfindet.

Es ist Montag, der 11. März 2019. Wie jedes Jahr zwischen Februar und März ist in Basel, der Stadt am Rhein 72 Stunden Ausnahmezustand. Der Zeiger der Uhr zeigt 03.30. Es wird mit Kostüm, Larve, Laterne und Instrument in die Stadt gepilgert.


Mit der Trommel auf dem Rücken begebe ich mich zum Treffpunkt in der Basler Altstadt wo ich meine Fasnachtsclique treffe. Ein bunter zusammengewürfelter Haufen, so auch der Name "die Zämegwirflede". Den Schlaf noch in den Augen, ist es kurz vor 04.00 Uhr. Die Stadt gerappelt voll mit aktiven Fasnächtlern sowie zehntausenden gespannten Zuschauern aus aller Welt.


Die Nervosität steigt, die Formationen machen sich bereit. Auch ich will meine Basler Holztrommel zum musizieren anschnallen, diese wird mittels einem sogenannten "Bandalier" mit einem Lederriemen und dazugehörenden Knoten zwischen die Seile und den Holzreifen geklemmt. Soweit so gut. Doch dann der Horrormoment, der Lederriemen reisst und ich habe das Endstück in der Hand. Es ist 03.55 Uhr und in 5 Minuten soll es losgehen. Gefühlschaos, mir wird bewusst, dass ich diesen magischen Moment in wenigen Minuten verpassen werde und meine Gruppe ziehen lassen muss. Wenn da nicht unser MacGyver alias "Paul*" wäre, der zusammen mit einem weiteren Kollegen "Cetin*" mit einer Schnur aus dem Laternenwägeli einen improvisierten Ersatzbändel an meiner Trommel anbringt. 60 Sekunden noch auf der Uhr, ich kann es kaum glauben und ziehe meine Larve an. Trotz zehntausender Zuschauer ist es mucksmäuschen still. Gänsehaut- Stimmung. Alle Lichter der Stadt inkl. der Strassenlaternen werden abgeschaltet. Die Kirchenuhr schlägt 4 mal, es ist 04.00 Uhr. Unser Tambourmajor schreit in die dunkle Basler Nacht "Morgestraich", Vorwärts, Marsch". Tausende Trommler, Pfeiffer, Vorträbler ziehen mit Ihren wunderschön gestalteten, bunt beleuchteten "Lampen" (Laternen) durch die Basler Altstadtgassen. Freudentränen kullern in der Larve die Wangen hinunter, einmal mehr bereue ich es nicht ein Teil dieser Fasnachtstradition zu sein. Der Morgen dämmert, und somit schwindet auch die märchenhafte Morgenstraich Stimmung mit der aufgehenden Sonne.

Nach wenigen Stunden Schlaf beginnt der Nachmittag. Der "Cortège" mit seinen zahlreich unterschiedlichen Gruppierungen. Zum einen die traditionellen "Cliquen", welche aus Trommlern und Pfeiffern (Piccolo) bestehen, welche ihre klassischen Fasnachtsmärsche meist virtuos zum Besten geben. Am Cortège wird ein sogenanntes Sujet (Weltgeschehen In/Ausland) ausgespielt und entsprechend anhand den jeweiligen Zugs-Kostümen und "Larven" (Masken) umgesetzt.

Dann gibt es die "Guggenmusiken" mit ihren verschiedenen Musikinstrumenten welche stimmungsvolle Hymnen aus der Musikwelt präsentieren und damit die Zuschauer am Strassenrand in Ihren Bann ziehen.

Nicht zu vergessen die "Waggiswagen" mit den Waggis, eine der traditionellen Fasnachtsfiguren, nebst dem Blätzlibajass, Ueli, Alte Tante, Harlekin und wie sie alle heissen. Der Waggis mit seiner unverkennbaren grossen Nase und den voluminösen Haaren in bunten Farben. Die Zoggeli (Holzschlappen) dürfen natürlich auch nicht fehlen. Der Waggis der in seinem breiten Baseldytsch die Sprüche zum Besten gibt, wirft mit allerlei kunterbuntem vom Wagen herab. Süssigkeiten, Blumen, buntes Obst und Gemüse und im schlechtesten Fall bekommt man eine Hand voll "Räppli" (Konfetti) ins Gesicht, dies oft auch davon abhängig ob man eine "Blaggede" (Fasnachtsabzeichen) trägt.


"Die Chaisen", sind eigentlich die etwas elegantere Form der Waggis. Als Motiv wird die "Alti Dante" (Alte Tante) ausgespielt, welche vornehm in ihrer "Chaise" (Kutsche) von 2 Pferden mit Kutscher gezogen wird. Ebenfalls bekommt das Publikum am Strassenrand diverse Leckereien und oft die wunderschönen "Mimösli".


Oft skurill auch die vielen "Einzelmasken", improvisierte Geschöpfe welche sich in aufwendig gestalteten Kostümen, Requisiten und natürlich kreativen Larven auf der Gass blicken lassen. Da kann es durchaus sein, dass in irgendeiner Seitenstrasse, ein Raclette oder Fondueplausch in fasnächtlicher Vollmontur improvisiert abgehalten wird. Schmunzelnde Gesichter vorprogrammiert.


Ebenfalls ein fester Bestandteil die sogenannten "Schnitzelbänkler". Kleine kostümierte Gruppen natürlich auch wieder mit einer Larve unkenntlich gemacht, welche in einem Restaurant oder Theatersaal ihren "Schnitzelbank" (Versabfolge zu lokalen oder internationalen Themen in komödiantischer Form, oft reimend und mit Musik untermalt) zum Besten geben. Das ganze wird anhand einer "Helge" (Zeichnung) dargestellt.


Unsere Clique läuft hingegen nicht am offiziellen Umzug mit sondern neben der Route, in der wunderschönen Basler Altstadt. Wir sind ein sogenanntes "Schyssdräggzigli" und haben kein Sujet zum aktuellen Weltgeschehen sondern tragen Charivari Kostüme, also jeder ein individuelles Kostüm sowie eine individuelle Larve. Bevor es aber losgeht stehen wir alle dicht gedrängt unter einem Zelt, ein stürmisches Regenband zieht über die Stadt. Kurz darauf blinzelt die Sonne aus den dunkelgrauen Wolken hervor und es geht weiter. Runde für Runde, Bier für Bier geht es dem Nachtessen hungrig entgegen. In einem ehemaligen Gefängnis in der Altstadt, welches teilweise zu einem Hotel umgestaltet wurde, werden wir bereits für Speis und Trank erwartet. Glücklicherweise nicht nur zu Wasser und Brot. Wir geniessen das wunderbare Essen im noblen Saal des Restaurants mit einem wunderbaren Blick auf das Basler Münster. Gut genährt aber etwas müde nach dem geselligen Treiben im warmen Restaurant gehts wieder auf die Strasse zum Gässlä. Spät in der Nacht neigt sich der Montag dem Ende zu und der Körper freut sich auf eine kleine Regeneration und etwas Schlaf.


Es ist Dienstag, Tag der Kleinen an der "Kinderfasnacht" sowie der zahlreichen Guggenmusiken, welche am Nachmittag durch die Strassen ziehen und Abend am legendären "Guggekonzert" auf drei Plätzen der Stadt ihre Melodien zum Besten geben und das Publikum begeistern.


Ebenfalls sind auch mehrere, virtuos klingende "Trommelgruppen" unterwegs, welche absolut synchron ihre Schlegel auf die Trommelfelle wirbeln. Grossartig! Kurz vor dem Mittag starten wir bei einer Cliquenkollegin Zuhause. Sie lädt zur legendären "Stubete". Wir werden bei hervorragendem Fleisch vom Grill und Älplermakronen verpflegt resp. verwöhnt. Von einer grosszügigen Dachterrasse geniessen wir den Blick über die Stadt, welche dank dem blauen Himmel in einer unglaublich friedlichen Stimmung auf uns wirkt. Es wird Zeit, die Kostüme werden angezogen, nochmals kurz die Blase entleert und weiter gehts. Wir begeben uns musizierend in Richtung Rhein. Dort warten bereits dutzende andere Fasnächtler, welche ebenfalls mit der Klingental "Vogel Gryff" Fähre den Rhein in Richtung Kleinbasel überqueren möchten. Nach ungeduldigen Minuten sind wir mitten auf dem Rhein und geniessen die Ruhe auf dem fliessenden Gewässer, das wie Adern durch die Stadt fliesst. Die Gruppe hat sich nun auf der anderen Seite der Stadt eingefunden und wir marschieren bei wärmendem Sonnenschein in Richtung Mittlere Brücke und geniessen auf der Terrasse im Hotel Krafft die vorbeimarschierenden Fasnachtsgruppen. Kurze Zeit später durchstreifen wir das alternative Kleinbasel mit seinem Rotlichtmilieu und begeben uns im Anschluss in die Brauerei Fischerstube zum schmackhaften Hackbraten mit Kartoffelstock. Weiter geht's. Wir schlendern über die Mittlere Brücke und zelebrieren eine dekadente Pause im 5-Sterne Hotel 3 König resp. "Drey Waggis". Im Anschluss gehts dann die Trommeln schleppend über den steilen Rheinsprung Richtung "Laternenausstellung" auf den Münsterplatz. Dort präsentieren sich die aufwändig gestalteten Laternen welche von lokalen Laternenkünstlern kreativ passend zum jeweiligen Gruppensujet in Szene gesetzt wurden. Bei einer Verschnaufpause betrachten wir die bunten Lampen. Schnellen Schrittes gehts zum Privée Waggis Keller wo das Kult Fasnachtsgetränk "Duubeschiss", ein Apricot-Eierlikör Schnaps, mit den Worten "E Guete" in einem Schluck im Rachen verschwindet. Eklig süss aber fast schon Tradition.


Nach einer weiteren Runde erreichen wir erneut das Zentrum der Stadt, den Rümelinsplatz. Es ist Mitternacht. Fluchtartig verlassen die Fasnächtler die Strassen, ein weiteres Regenband mit starken Sturmböen zieht über die Region. Wir wollen noch nicht gehen und sitzen vor dem Hotel Basel und halten bei strömenden Regen die Plasikpellerinen über unsere Köpfe, nass werden wir trotzdem, lustige, ausgelassene Stimmung, da scheint sogar der folgende Zwischenfall halb so schlimm. Unglücklicherweise wird am Tisch ein Bier ausgeleert und läuft komplett über die Tischkante herab auf Larven und Trommeln. Freude herrscht! 02.00 Uhr, wir sind nur noch eine Handvoll und machen nochmals im Regen, spielend eine kleine Abschlussrunde. 02.30 Uhr. Klatschnass aber glücklich ist nun auch der Fasnachtsdienstag vorüber.


Nach einigen Stunden Schlaf, wache ich mit einem pochenden Kater am frühen Mittwoch Vormittag auf. Unangenehm, aber der Vorabend war grandios. Keine Ausreden, wer trinken kann, kann auch wieder pünktlich um 15.00 Uhr und bereits leicht ausgenüchtert am ausgemachten Treffpunkt für den letzten Fasnachtstag einstehen. Erneut wechseln sich Regen, Sturm und Sonne ab. Wie so oft laufen wir etwas später als geplant ab, dafür ohne Regen. Wunderbar, der Bier Geschmack in der Larve vom Zwischenfall von gestern, benebelt mich bereits jetzt schon wieder. Gut dass wir kurz darauf von einem erneuten Regenschauer erwischt werden, während wir spielend durch die Stadt schlendern. Der Alkoholgeschmack wäscht sich dank des peitschenden Platzregens allmählich aus dem Kopffell meiner Larve und dem pelzigen Kostüm während dieses tropfnass und immer schwerer wird. Gut das wir in Kürze unseren Zielort erreichen. Nach einem abwechslungsreichen Nachmittag und einem grossartig und geselligen Nachtessen, vergeht die Zeit wie im Fluge und auch der letzte Tag neigt sich dem Ende zu. Kurz nach Mitternacht, begiessen wir noch den Geburtstag meines Lieblingsvorträblers (beste Mama der Welt) mit lautstarkem Geburtstagsgesang und begeben uns im Anschluss auf die letzten melancholischen Runden dieser wunderschönen Fasnacht. Gegen 02.30 Uhr gibts am Barfüsserplatz nochmals Bell Würstchen mit Brot und Senf für eine letzte Stärkung vor dem Endspurt. Die vorletzte Runde beginnt. Müde schleppen wir uns Häuserzeile um Häuserzeile zum nächsten Halt. Es scheint so als würde die Trommel von Halt zu Halt schwerer werden. Wir sind erneut beim Rümelinsplatz, unsere Uhr zeigt 03.30. Die Cliquen geben nochmals alles, die Stimmung atemberaubend schön! Noch ein letztes Mal werden die Piccolos aus den Taschen gezogen und die Trommeln montiert. Die letzte Route zum Fasnachtsändstraich wird begangen. Punkt 04.00 Uhr wird der letzte Marsch mit feuchten Augen bespielt und wir verabschieden erschöpft aber glücklich die Fasnacht 2019.


Und schon ist alles wieder vorbei, die Stadtreinigung startet Punkt 04.01 Uhr mit über 250 Mitarbeitern in ihren orangen Uniformen und beseitigt mit Besen, Putzmaschinen, Baggern und anderem schweren Gerät bewaffnet die unfassbare Menge von 405 Tonnen Abfall. Dies damit bereits ab 06.00 Uhr unsere Trämli (Strassenbahnen) wieder durch die Stadt fahren können und nichts mehr an das Fasnachtsmärchen erinnert.


Die letzten Tränchen aus dem Gesicht gewischt und voller Vorfreude auf nächstes Jahr bis es am "2. März 2020" wieder heisst "Morgestraich, Vorwärts, Marsch"


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